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 Dienstag, 23. Juli 2013 
Ob ein privat aufgenommenes Video in einem Zivilprozess zu Beweiszwecken  verwendet werden darf, hängt von einer Interessenabwägung ab. Die  Verwertung kann zulässig sein, wenn zum Zeitpunkt der Aufnahme damit  noch kein bestimmter Zweck verfolgt wurde und das Video später der  Beweissicherung dient. 
Am 30.5.11 kam es in München an der Kreuzung Tegelbergstraße/  Naupliastraße zu einem Verkehrsunfall. Ein Fahrradfahrer fuhr rechts  neben dem Fahrer eines Smart Cabrios, der ihn dann überholte. Als der  Pkw-Fahrer plötzlich abbremste, geriet der Fahrradfahrer ins Straucheln  und fiel hin. Dabei verletzte er sich und auch sein Fahrrad wurde  beschädigt. 
Die Arzt- und Reparaturkosten von insgesamt 3000 Euro wollte der  Fahrradfahrer vom Autofahrer ersetzt bekommen sowie darüber hinaus ein  angemessenes Schmerzensgeld. Schließlich habe dieser ihn absichtlich  ausgebremst, um ihn zu maßregeln. Der Fahrer des Cabrios habe ihm  nämlich vorher schon den Mittelfinger gezeigt, weil er sich beschwert  habe, dass der Smart ihn zuvor ohne jeglichen Seitenabstand überholt  habe. Er könne das alles auch beweisen, weil er seine Fahrradfahrt auf  Video aufgenommen habe. 
Der Autofahrer weigerte sich zu zahlen. Es stimme so alles nicht und  die Verwertung des Videos verletze ihn in seinen Grundrechten. 
Daraufhin erhob der Fahrradfahrer Klage vor dem Amtsgericht München. Die zuständige Richterin wies die Klage jedoch ab: 
Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass der Fahrradfahrer den Unfall  überwiegend selbst verschuldete. Das mitwirkende Verhalten des  Autofahrers sei von so untergeordneter Bedeutung gewesen, dass eine  Haftung nicht mehr in Betracht komme. 
Zu einer Berührung des Fahrrads mit dem Smart sei es nicht gekommen.  Deshalb hafte der Autofahrer nicht automatisch  schon wegen der  Betriebsgefahr, die von seinem Auto ausgehe für die Folgen des Unfalls.  Der Fahrradfahrer habe vielmehr ein Verschulden des Autofahrers zu  beweisen. Dies sei ihm nicht gelungen. 
Zunächst sei streitig gewesen, ob die Verwertung des Videos zulässig  sei. Zur Beantwortung dieser Frage komme es auf die Interessen beider  Parteien an, die gegeneinander abzuwägen seien. 
Hier führe die Abwägung zu dem Ergebnis, dass die Verwertung des Videos zulässig sei. 
Zu der Zeit, zu der das Video aufgenommen wurde, habe der Aufnehmende  damit noch keinen bestimmten Zweck verfolgt. Die Personen, die vom Video  aufgenommen wurden, seien rein zufällig ins Bild geraten, so, wie es  auch sei, wenn man Urlaubsfotos schieße oder Urlaubsfilme mache und  dabei auch Personen mit abgebildet werden, mit denen man nichts tun  habe. Derartige Fotoaufnahmen und Videos seien nicht verboten und sozial  anerkannt. Jeder wisse, dass er in der Öffentlichkeit zufällig auf  solche Bilder geraten könne. Nachdem die abgebildete Person dem  Fotografen in der Regel nicht bekannt sei und dieser damit auch keine  näheren Absichten gegenüber der abgebildeten Person verfolge, bleibe die  abgebildete Person anonym und sei damit allein durch die Tatsache, dass  die Aufnahme erstellt wurde auch nicht in ihren Rechten betroffen. Eine  Beeinträchtigung ihrer Grundrechte könne nur dann vorliegen, wenn eine  derartige zufällig gewonnene Aufnahme gegen den Willen der abgebildeten  Person veröffentlicht werde. 
Das liege hier zwar vor, nachdem der Kläger von der Videoaufnahme im  Gerichtsverfahren Gebrauch machen wolle. In dem Moment, in dem sich der  Unfall ereignete, habe sich aber auch die Interessenlage der Beteiligten  geändert. Der Fahrradfahrer habe nunmehr ein Interesse daran, Beweise  zu sichern. Dieses Interesse sei in der Rechtsprechung auch anerkannt:  Es werde für unproblematisch gehalten, wenn ein Unfallbeteiligter  unmittelbar nach dem Unfall Fotos von den beteiligten Fahrzeugen, der  Endstellung, Bremsspuren oder auch von seinem Unfallgegner mache, um  Beweise für den Unfallhergang und die Beteiligung der Personen zu  sichern. Es könne keinen Unterschied machen, ob die Beweismittel erst  nach dem Unfall gewonnen werden oder bereits angefertigte Aufnahmen nun  mit dieser Zielrichtung verwertet werden. Deshalb könne in dem Prozess  das Video ausgewertet werden. 
Die Auswertung des Videos habe aber nunmehr ergeben, dass der  Fahrradfahrer mit einer Geschwindigkeit von 24 km/h gefahren sei und  deshalb zum vorausfahrenden Pkw einen Abstand von 12 m hätte einhalten  müssen. Das habe er aber nicht getan, er sei viel mehr in einem Abstand  von nur 8 m hinter dem Pkw hergefahren. Als er das Aufleuchten der  Bremslichter sah, hätte er trotzdem sein Fahrrad noch sicher zum Stehen  bringen können, wenn er eine moderate Bremsung nicht nur mit der  Vorderradfelge, sondern auch mit der Hinterradfelge ausgeführt hätte, um  die Stabilität seines Fahrrades zu erhalten. Dazu hätte die verbliebene  Strecke bis zum Halt des Pkws ausgereicht. 
Der Autofahrer habe auch einen verkehrsbedingten Anlass für seine Bremsung gehabt, da ihm ein PKW entgegengekommen sei. 
Dass der Autofahrer den Kläger maßregeln wollte, müsse dieser  beweisen. Das Video zeige dies, insbesondere auch den erhobenen  Mittelfinger, nicht. Auf der entsprechenden Bildsequenz sei lediglich  eine erhobene Faust zu sehen. Ob ein Finger darüber hinausrage, könne  hingegen nicht mit der nötigen Sicherheit gesagt werden. Der Autofahrer  habe angegeben, dass er gelegentlich beim Fahren mit seinem Cabrio die  Hand am oberen Türholm habe. Anhand dessen, was man auf dem Video sehe,  lasse sich diese Variante nicht völlig ausschließen. 
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Urteil des Amtsgerichts München vom 6.6.13, AZ 343 C 4445/13 
Quelle: Pressemitteilung des Amtsgerichts München vom 6.6.2013  |